Globus-Schüler diskutieren mit Experten über zunehmenden Antisemitismus

Antisemitismus 75 Jahre nach Auschwitz wirklich noch ein Thema? Und das auch noch unter jungen Leuten, die selber, ja deren Eltern und Großeltern gar nicht mehr in irgendeiner Weise persönlich betroffen sind?

Dieser schwierigen Frage stellten sich SchülerInnen der Gesamtschule Globus am Dellplatz in Duisburg im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion.

„Globus spricht“ ist ein Format, das sich an unserer Schule bereits seit mehreren Jahren mit Fragen aus dem Bereich der Menschenrechte beschäftigt“ erläuterte Ingo Grau, Abteilungsleiter und Koordinator der Gesprächsreihe. „Das diesjährige Thema ‚Antisemitismus‘ hat nicht nur mit dem Auschwitz-Jahrestag, sondern auch mit dem Selbstverständnis unserer Schule als Schule ohne Rassismus zu tun. Respekt und Toleranz sind notwendige Spielregeln, wenn Schüler aus über vierzig Nationen friedlich miteinander umgehen sollen.“

Gute Tradition der Diskussionsreihe ist es, dass Schülerinnen aus dem Jahrgang 11 die Moderation des Gesprächs übernehmen. Bestens vorbereitet begrüßten Joanna Gawor, Princely Ngangjoh und Natalia Mielnik kompetente Experten. Nachdem sie zur Einleitung die Biografien von jüdischen Holocaustopfern aus Duisburg präsentiert hatten, stellten unsere Moderatoren Burak Yilmaz aus Duisburg und Alexander Smolianitski aus Düsseldorf vor: Yilmaz arbeitet u.a. mit jugendlichen Straftätern und hat sich als Initiator des Projekts „Junge Muslime in Auschwitz“ einen Namen gemacht. Digitalisierungsexperte Smolianitski wirkt seit Jahren als Mitorganisator bei den  Jüdischen Kulturtagen in Düsseldorf mit.

Dass Antisemitismus auch 75 Jahre nach Auschwitz noch immer, oder gerade wieder neu aktuell ist, darauf verwies Princely in seiner Anmoderation. Fast 2000 antisemitische Straftaten in Deutschland mit stark steigender Tendenz sprechen eine deutliche Sprache. Auch persönliche Beweggründe spielten bei der Motivation der Moderatorinnen eine Rolle, denn sowohl Natalia als auch Joanna gehörten zu einer Schülergruppe, die vor zwei  Jahren im Rahmen einer Kursfahrt selber den Ort des Grauens, die Gedenkstätte Auschwitz, besucht haben und sich von dieser Begegnung tief beeindruckt zeigten.

Dass es bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus nicht um Schuldzuweisung, sondern um die Übernahme von Verantwortung geht, betonten beide Experten übereinstimmend und lobten die Schülerinnen wie auch die Schule für ihr Engagement in dieser Richtung. Denn die Wiederholung solcher Verbrechen aus niedrigsten rassistischen Motiven könnten nur die heute Lebenden und hier vor allem die jungen Menschen verhindern.

Alexander Smolianitski verwies darauf, dass Antisemitismus aus dem Ungeist der Menschenfeindlichkeit entsteht, die sich ihre Opfer nicht nur unter Juden sucht, sondern generell Freiheit, Demokratie und Humanität zerstört. Ähnlich äußerte sich Yilmaz, der es nicht mit der Betrachtung der Geschichte belassen will, sondern den historischen Holocaust als Ansporn für den heute notwendigen Kampf gegen den Rechtsextremismus sieht.

Was aber kann man konkret tun? Die Antwort auf diese Frage beschränkt sich nach Ansicht der Experten nicht auf Informationen und Appelle, so wichtig diese auch sind. Alexander Smolianitski empfahl zum Abbau von Vorurteilen die direkte  Begegnung von Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft. Das Judentum in Deutschland dürfe man nicht auf die 12 Jahre der Verfolgung von 1933 bis 1945 reduzieren. Schließlich reiche die Geschichte von Juden in Deutschland 1700 Jahre zurück in die Vergangenheit.

Burak Yilmaz berichtete in diesem Zusammenhang von seinem Besuch in Tel Aviv, wo er Israel als Land kennengelernt habe, in dem auch viele Bewohner  nicht mit der Siedlungspolitik ihrer Regierung einverstanden seien und dies auch u.a. in großen Demonstrationen gezeigt hätten. Gleichzeitig warnte er jedoch vor der fatalen Gleichmacherei. Nicht „die Juden“ seien verantwortlich für die Behandlung der Palästinenser, sondern eine gewählte und natürlich auch kritisierbare Regierung in Israel. Zusätzlich warb er auch für Ausgewogenheit in der Diskussion, denn bei aller Kritik an Israel dürfe man nicht vergessen: „Auf der anderen Seite verübt die Terrororganisation Hamas grausame Attentate.“

Immer wieder angetrieben von kritischen Nachfragen der gut vorbereiteten Moderatorinnen entwickelte sich so auf dem Podium ein angeregtes Gespräch. Im Anschluss daran waren die Zuhörer am Zuge. Mehrfach kritisiert wurde u.a. die als unausgewogen wahrgenommene Berichterstattung in der Öffentlichkeit. Hier überwiege die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, das Eintreten für die Rechte verfolgter muslimischer Minderheiten käme oft zu kurz. Übereinstimmend forderten die beiden Experten die Jugendlichen auf, doch in dieser Sache selber aktiv zu werden und zum Beispiel auch das Schicksal der in China unterdrückten Uiguren zum Thema zu machen. Man dürfe beide Themen nicht gegeneinander ausspielen.

Abschließend und zusammenfassend appellierte Natalia im besten aufklärerischen Sinne an die Vernunft der Zuhörer. Jeder sei in der Lage und aufgefordert, sich selbstständig und unabhängig von welchen Autoritäten auch immer ein eigenes Urteil zu bilden und im Sinne von Toleranz und Gewaltverzicht für seine Ideale einzutreten. Ein besseres Fazit für diese insgesamt sehr gelungene Veranstaltung lässt sich kaum denken.

Denken sollte man aber zum Schluss an die Personen, die an der Vorbereitung der Diskussion im besonderen Maße beteiligt waren. Dank gilt besonders Frau Günes, die als Fachlehrerin Geschichte die Moderatorinnen intensiv inhaltlich auf ihre Rolle vorbereitet hat. Zudem danken wir sehr herzlich Herrn Holtz-Ersahin von der Stadtbibliothek Duisburg, der schon seit vielen Jahren die Veranstaltung „Globus spricht“ organisatorisch unterstützt und die Moderatoren auch in ihrer Rolle als Gastgeber und Fragesteller anleitet.

Zum Team der Moderatorinnen und Moderatoren gehörten zusätzlich zu den Genannten:
Hasan Abd-Alkareem, Sinem Bebek, Isabelle Cusato und Bengisu Önür, alle aus dem Jahrgang 11.
 
Vorgestellt wurden u.a. folgende Persönlichkeiten aus der jüdischen Geschichte Duisburgs:
Leon Jessel, Sally Kaufmann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde vor dem Krieg, Herbert Salomon, Auschwitz-Überlebender und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde nach dem Krieg, Rechtsanwalt Harry Epstein, Rabbiner Manass Neumark, ermordet 1942 im KZ Theresienstadt.

Text: Ingo Grau